Z(w)eitzeugen-Gespräch mit Hava Ast

Am 23.01.2025 besuchte Hava Ast mit ihrem Mann und ihrer Tochter, initiiert durch die Margit-Horváth-Stiftung, die Dreieichschule Langen. Angereist aus Israel erzählte die pensionierte Lehrerin als „Zweitzeugin“ vor den Leistungskursen Geschichte sowie Politik und Wirtschaft von ihrer Mutter, der Shoa-Überlebenden Alis Lippmann.  

Die ungarische Jüdin wurde 1920 in Ungvár (heutige Ukraine) geboren. Im April 1944 sperrte man sie und ihre Familie ins Ghetto Munkács und deportierte im Mai alle 28.587 Juden des Ghettos nach Auschwitz. Alis Lippmann war eine der knapp 1700 Mädchen und Frauen, die im KZ-Außenlager Walldorf zur Zwangsarbeit am Flug- und Luftschiffhafen Rhein-Main interniert wurden und so dem Tod in den Gaskammern entkamen. Unter unmenschlichsten Bedingungen, kaum vorhandener Verpflegung und ohne richtige Bekleidung oder Schuhwerk schufteten die Häftlinge, ungeschützt den vielen Bombenangriffen ausgesetzt. Im November 1944 wurde das Lager aufgelöst und alle Häftlinge in das KZ-Ravensbrück überführt. Dort musste sie 2 Wochen in Zelten auf dem gefrorenen Boden verbringen. Später teilte man sie zur Zwangsarbeit in den Werken von Siemens & Halske ein.  

Alis Lippmann überlebte die Verfolgung, die geplante Vernichtung allen jüdischen Lebens und den Krieg. Von den 1700 Zwangsarbeiterinnen in Walldorf überlebten nur etwa 300 die nationalsozialistische Todesmaschinerie. Auch 26 ihrer Familienmitglieder, darunter ihre Eltern und 4 ihrer Geschwister, wurden umgebracht. Nach 1945 wanderte sie nach Israel aus und gründete eine Familie. Das Land verließ sie nie wieder. Wie ihre Tochter Hava berichtete, redete sie kaum über ihre Erlebnisse, auch weinen hatte sie ihre Mutter nie gesehen.  

Gebannt verfolgten die Schülerinnen und Schüler den Bericht, stellten viele Fragen, aber hörten oft einfach still zu, um die Geschichte zu verarbeiten. Alle fanden es unfassbar, welche Szenen der Ungerechtigkeit, Menschenfeindlichkeit und des Hasses sich in ihrer nächsten Nähe abgespielt hatten. Auch die Haltung Hava Asts beeindruckte das Publikum. Sie berichtete davon, dass sie trotz der Vergangenheit gerne nach Deutschland reise und wie sehr ihr die gründliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auffiele. Es gäbe viele Orte des Gedenkens und Erinnerns an eine Zeit, welche sich nie mehr wiederholen dürfe. Sie appellierte daran, immer ein offenes Herz zu für andere zu haben. 

Insgesamt war dieses Zweitzeugenspräch ein voller Erfolg und läutete an der Dreieichschule eine neue Form der Erinnerungskultur ein, welche mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Immer weniger Zeitzeugen sind noch am Leben, weswegen man beim Aufarbeiten und Erzählen von Einzelschicksalen auf Angehörige zurückgreift, die aus erster Hand von den Erlebnissen der Zeitzeugen berichten können. Die Resonanz aus der Schülerschaft zeichnet ein klares Bild. Schüler betonten beispielweise, dass es ihnen wichtig sei, die grausamen Vergehen aus der Vergangenheit nie zu vergessen und zu verhindern, dass sowas noch einmal passiert oder auch, dass die Erinnerungen der Überlebenden erhalten bleiben und weitergetragen werden müssen. Das Wissen über die Shoa schwindet, vor allem bei den Jüngeren. Zweitzeugengespräche bilden, schrecken ab und machen jedem einzelnen bewusst, dass unser Leben, unsere Freiheit und unsere Unversehrtheit so nicht selbstverständlich sind .

Die Schülerinnen und Schüler überreichten, eine Erfahrung reicher, den Gästen Blumen und Dankeskarten. 

(Konrad Groß, Q3)