Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2023

Zum diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hatte eine kleine Gruppe, bestehend aus Schülerinnen und Schülern der Q-Phase der Dreieichschule, die Gelegenheit, eine besondere Zeitzeugin der dritten Generation kennenzulernen: Nina Grünfeld.

Nina Grünfeld, geboren 1966, ist eine vielfach ausgezeichnete norwegische Filmemacherin, Autorin mehrerer Bücher und Fernsehdokumentationen, Podcasterin sowie Professorin an der Innland Norway University – und Enkelin. Enkelin Frida Grünfelds, einer der 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die im Holocaust durch die Nationalsozialisten verfolgt, ausgebeutet und ermordet worden sind.

Am diesjährigen Gedenktag ist Nina Grünfeld im Horváth-Zentrum Walldorf, der ehemaligen KZ-Außenstelle und heutigen Gedenkstätte, eingeladen, aus ihrem im Januar auf Deutsch erschienenen Buch "Frida – Auf der Suche nach meiner verfolgten Großmutter" zu lesen und Fragen der Schülerinnen und Schüler zu beantworten. Wir durften eine bewegende Veranstaltung erleben und eine bemerkenswerte Frau kennenlernen.

In ihrem Buch kontrastiert Nina Grünfeld die verbrecherischen Geschehnisse der NS-Geschichte und die Auswirkungen der Besatzungspolitik der Nazis auf das Leben der jüdischen Bevölkerung mit der persönlichen Suche nach ihrer Großmutter Frida – einer Großmutter, die sie nie kennenlernen durfte.

Selbst Ninas Vater, Berthold Grünfeld, Fridas unehelicher Sohn, lernt seine Mutter nicht wirklich kennen; lediglich ein einziges Zusammentreffen ist ihm in Erinnerung geblieben. Frida kann nicht für ihren Sohn sorgen und er wird sofort nach seiner Geburt 1932 in eine Pflegefamilie in Bratislava gegeben. Dort verbringt er seine Kindertage und kommt 1939 – über ein jüdisches Waisenhaus vor den Nazis gerettet – nach Norwegen. Er wird dort studieren, renommierter Psychiater werden und eine Familie gründen. Eine der Töchter ist Nina, die schon früh anfängt, nach den familiären Wurzeln ihres Vaters zu suchen.

Über seine Mutter, von der er lange nur wusste, dass sie wohl keine „respektable Frau“ gewesen sei, sagt Berthold Grünfeld später: „Sie hatte keine Chance...Sie war Jüdin, sie entstammte der ungarischen Minderheit, sie war eine alleinstehende Mutter und sie war auf die schiefe Bahn geraten." Tatsächlich gelingt es Nina in jahrzehntelanger Recherchearbeit mehr und mehr über ihre Großmutter in Erfahrung zu bringen: so erfährt sie aus Polizeitakten und Verhörprotokollen, dass Frida, die 1908 im slowakischen Dorf Lelesz auf die Welt gekommen ist, seit 1930 in Großstädten wie Prag und Bratislava ihren Lebensunterhalt als Prostituierte verdienen musste. Kleinere Delikte wie Trunkenheit oder unbediente Geldforderungen sind Zeugnis der prekären Lage, in der sich Frida als mehrfach Diskriminierte befunden hat. Es sind aber auch diese Akteneinträge, die es ihrer Enkelin später ermöglichen, das Leben ihrer Großmutter – zumindest in kleinen Bruchstücken – zu rekonstruieren.

So erfährt sie auch aus den zahlreichen Deportations-Listen, die die NS-Verbrecher geführt haben, dass Frida 1944 inhaftiert und nach Auschwitz deportiert worden ist; von dort wird sie weitertransportiert ins KZ-Außenlager Walldorf, wo sie von August bis November 1944 als eine von 1700 Jüdinnen als Zwangsarbeiterin ausgenutzt wird. Schließlich wird Frida im Frauenlager Ravensbrück kurz vor Kriegsende, am 6. April 1945, ermordet.

Nina Grünfeld hat viel über ihre Großmutter in Erfahrung bringen können, sie hat zahlreiche Leerstellen in ihrer Geschichte gefüllt; was sie bis heute aber schmerzlich vermisst, ist eine Fotografie, die ihre Großmutter zeigt. Sie kann nur erahnen, wie die Frau ausgesehen haben mag, deren Geschichte sie ihr ganzes Leben beeinflusst hat. Was sie allerdings finden konnte, waren ein Fingerabdruck und eine Unterschrift Fridas – beide sind heute auf der Fassade des KZ-Gedenkstätte angebracht. 

Es ist manchmal also nicht viel, das bleibt von den Ermordeten des Holocaust, insbesondere denen, die am Rande der Gesellschaft gelebt haben. Dank der unermüdlichen Recherche ihrer Enkelin, die sie nie kennenlernen durfte, ist für Frida Grünfeld nun aber ein Zeugnis geschrieben, das an sie erinnern wird. Und es ist ein Ort geschaffen, an dem ihrer gedacht werden kann. So ist es besonders bewegend gewesen, 78 Jahre nach Kriegsende, gemeinsam mit dem Frankfurter Rabbiner Gurevitch das erste Mal das Kaddisch, das jüdische Totengebet, für Frida Grünfeld zu sprechen. Nicht unter ihrem Foto, aber unter ihrem Fingerabdruck, den sie dank Nina nun sichtbar gemacht in der Welt hinterlassen hat.

Eindrücke der Schülerinnen und Schüler:

„Wir hatten die Ehre, eine sehr beeindruckende und inspirierende Frau kennenzulernen. An einem Ort, den man besonders am 27. Januar mit sehr gemischten Gefühlen besucht, wurde uns das [...]
„Wir hatten die Ehre, eine sehr beeindruckende und inspirierende Frau kennenzulernen. An einem Ort, den man besonders am 27. Januar mit sehr gemischten Gefühlen besucht, wurde uns das Grausame, was man sonst doch so gerne verdrängt, wieder ganz präsent. Auch denke ich, spreche für alle von uns, wenn ich sage, dass diese Begegnung mit Nina ganz anders war, als wir zuvor erwartet haben. Das vom Rabbi gesprochene Totengebet und das Niederlegen der Blumen zum Gedenken aller, denen wir Deutsche das Schlimmste angetan haben, war für die meisten sehr emotional. Doch schon als sich Nina vorgestellt hat, war es wie eine 180-Grad-Drehung. Eine total offene, humorvolle und durchaus faszinierende Powerfrau, die niemals aufgegeben hat, die zahlreichen Fragen, die sie seit Kindertagen quälten, zu beantworten, sprach zu uns. Auf eine lebendige, lehrreiche und doch auch sehr persönliche Art las sie aus ihrem Lebenswerk vor und stellte sich unseren vielen interessierten Fragen. Dabei nahm Nina kein Blatt vor den Mund und überraschte immer wieder mit teils auch deutschen Späßchen. Vor allem uns, die jungen Gäste, sprach Nina dabei immer wieder direkt an, mit dem Ziel uns etwas fürs Leben zu lehren. Trotz des traurigen Beigeschmackes, der bei diesem Thema natürlich immer mitschwingt, war es eine sehr schöne Veranstaltung, von der sicherlich jeder etwas für sich ganz persönlich mitnimmt.“ (Julia Hesse)
„Zur Gedenkveranstaltung zum 27.01., dem internationalen Holocaust-Gedenktag, wurde dieses Jahr Nina Grünfeld in die ehemalige KZ-Außenstelle in Walldorf eingeladen. Nina Grünfeld ist die [...]
„Zur Gedenkveranstaltung zum 27.01., dem internationalen Holocaust-Gedenktag, wurde dieses Jahr Nina Grünfeld in die ehemalige KZ-Außenstelle in Walldorf eingeladen. Nina Grünfeld ist die Enkelin einer ehemaligen tschechoslowakischen Jüdin, welche tragischerweise 1945 von den Nazis vergast wurde. Nina Grünfeld widmete fast ihr gesamtes Leben der Suche nach ihrer Oma, in der sie durch jahrelange Arbeit immer mehr Details über das Leben ihrer Oma, vor und nach ihrer Deportation durch die Nazis herausfand. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse rekonstruierte Nina Grünfeld in ihrem Buch das Leben ihrer Großmutter sehr lebhaft. Am Gedenktag wurde zuerst vor der Außenstelle zum ersten Mal seit dem Tod Fridas, das Totengebet durch einen Rabbi gelesen. Für mich persönlich war dies der emotionalste Moment des ganzen Tages, da auch Nina von diesem Gebet sichtlich berührt wurde. Daraufhin wurde aus der deutschen Version ihres Buches vorgelesen. Nina selber kommt aus Norwegen, weshalb die Veranstaltung auf Englisch stattfand. Im Anschluss hatten wir Zeit, Nina Fragen zu stellen. Dies gefiel mir besonders gut, da Nina eine unglaublich interessante Persönlichkeit ist, die auch außerhalb ihres Buches sehr interessante Geschichten zu erzählen hatte. Insgesamt ist Nina eine faszinierende Persönlichkeit ihre Redensweise lässt einen sehr an ihrer Gefühlwelt teilhaben, insbesondere weil Nina zu keinem Zeitpunkt ein Blatt vor den Mund nahm. Alles in allem war es eine sehr gelungene Gedenkveranstaltung. Insbesondere auf Grund von Nina persönlich. Besonders wichtig finde ich auch, dass nun wo die erste Generation langsam nicht mehr aus erster Hand von den Schrecken der NS-Zeit erzählen kann, die 2. Bzw. in diesem Fall sogar die 3. Generation diese sehr wichtige Aufgabe übernimmt und somit sicherstellt, dass diese Zeit der deutschen Geschichte nie in Vergessenheit gerät.“ (Till Höhn)
„Der Holocaust-Gedenktag am 27.01.23 mit Nina Grünfeld war ein sehr bereicherndes Erlebnis. Vor allem mit dem Hintergrund der Geschichte Deutschlands, ist die NS-Zeit ein sehr [...]
„Der Holocaust-Gedenktag am 27.01.23 mit Nina Grünfeld war ein sehr bereicherndes Erlebnis. Vor allem mit dem Hintergrund der Geschichte Deutschlands, ist die NS-Zeit ein sehr bedeutendes Thema und interessiert mich daher sehr. Durch die Vorlesung aus dem Buch ,,Frida", geschrieben von Nina, und ein paralleles Gespräch konnte man direkte Fragen ansprechen und über das gegebene Thema diskutieren. Dadurch, dass die Veranstaltung freiwillig war, hat man gemerkt, dass sich alle sehr stark für die Thematik interessieren und die generelle Stimmung war sehr angenehm. Zudem bin ich der Schule und den Lehren sehr dankbar, dass sie solche Projekte fördern und den Schülern eine Chance bieten daran teilzuhaben. Nina war sehr offen, hat sich sehr über unser Dasein gefreut und uns alle möglichen Fragen beantwortet :) Auch die Organisatoren, durch die es möglich wurde, dass wir Schüler in die Gedenkstätte durften und die vielen Namen an den Glaswänden betrachten konnten, waren sehr freundlich und haben sich unseren Fragen angenommen. Das Gefühl, an solch einem Ort zu sein, war gleichzeitig beengend als auch beeindruckend und einprägsam. Solche Ausflüge und Aktionen sind eben etwas total Anderes, als das Thema nur theoretisch im Unterricht zu behandeln. Es löst eigene Emotionen und Gefühle in einer Person aus und für mich bedeutet es auch, dass ich das aufgenommene Wissen viel besser verarbeiten und mir merken kann, als wenn ich einen bloßen Text über das Thema lese.“ (Lotta Frey)
„Nina Grünfeld ist eine sehr sympathische, kontaktfreudige, starke und humorvolle Frau. Sie hat mit ihrer Körpersprache und ihrem lebhaften Erzählstil mich und ich denke auch alle anderen [...]
„Nina Grünfeld ist eine sehr sympathische, kontaktfreudige, starke und humorvolle Frau. Sie hat mit ihrer Körpersprache und ihrem lebhaften Erzählstil mich und ich denke auch alle anderen Anwesenden gefesselt und für die Geschichte ihrer Großmutter begeistert. Als ich mich mit der Geschichte ihrer Großmutter befasst habe, hat es mir nochmals vertieft die Geschichte des Holocaust vor Augen geführt. Durch die Eindrücke, die man während der Lesung erhalten hat, wurde die Geschichte ein Stück weit lebendig und man konnte sich die damalige Situation besser vorstellen. Dies liegt auch an der genauen Recherche, die Nina Grünfeld über mehrere Jahre hinweg durchgeführt hat. Mich hat vor allem ihr Lebensmut und ihre Lebensfreude beeindruckt, mit welcher sie die Fragen beantwortet hat. Vor allem zu Beginn der Lesung, hat mich das Kaddisch sehr beeindruckt und gefesselt, da ich es noch nie zuvor gehört habe und ich es interessant fand die hebräische Sprache mal zu hören. Auch wenn ich nichts verstanden habe. Ich finde es sehr wichtig, dass ein solcher Gedenktag publik gemacht wird und, dass sich möglichst viele junge, aber auch ältere Menschen daran beteiligen. Damit sich so etwas in unserer Zukunft nicht nochmal wiederholt. Deswegen bin ich der Meinung, dass solche Gedenktage häufiger im Schulalltag angeboten und auch unterstützt werden sollen. Denn nur, wenn man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt und sich die Fehler der Geschichte bewusst macht, kann man die Zukunft besser gestalten. Für ein wenig Geschichte ist denke ich immer etwas Zeit, wobei dies ja auch zum Unterricht beiträgt. Mich persönlich hat der Gedenktag sehr mitgenommen, da man durch das Gebäude und die tiefgründigen Fragen sich innerlich noch mehr mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat. Zudem bekam man noch weitere Eindrücke, die man ohne das Treffen mit Nina Grünfeld nie erlebt hätte. Allein den Aufwand, der hinter ihrem Buch „Frida“ steckt, muss man sich erst einmal vor Augen führen. Es ist bewundernswert, wie sich Nina Grünfeld für die Geschichte ihrer Großmutter Frida ins Zeug legt, um möglichst viel zu erfahren und diese Informationen schließlich zu teilen. Besonders die Hindernisse und Schwierigkeiten, die sie auf ihrem Weg der Recherche überwunden hat, verdienen Respekt und Anerkennung. Deswegen empfehle ich auch für alle geschichtsbegeisterten oder für all diejenigen, die einfach nur ihre Geschichte hören wollen das Buch „Frida“.“ (Rebecca Parthon)

Fotos von Marcus Winson